Kommune III

Teufel! Die Trillerpfeife schrillt.

Ich schrecke aus dem Schlaf hoch. Hätte ich eine Armbanduhr, könnte ich feststellen, daß es Sonntag ist: Wecken 4 Uhr. An Werktagen stehen wir um 3 Uhr auf.

Flugs die härene Decke kantig gefaltet und aufs oberste der Dreietagenbetten gelegt. Ulrich hat Gemeinschaftsschlafraumdienst und beginnt zu fegen. Ich aber eile zur Gemeinschaftswaschanlage. Dieter hat Pumpendienst. Er pumpt und pumpt und pumpt, bis wir alle 84 sauber gewaschen sind. Dann sind die Mädchen an der Reihe. Dagmar darf pumpen.

Wir klopfen unsere praktischen dunkelbraunen hochgeschlossenen Gemeinschaftsanzüge aus und schlüpfen hinein. Volker trüge lieber dunkelblau, aber dunkelblau ist nur für Mädchen.

Und nun mit einem frohen Lied zum Hochofenbau! Jeder Kommune ihre eigenen Hochöfen! Auch unser Kommune III will da nicht zurückstehen! Wann werden wir anstechen kennen? Und ob unser Oberkommunarde zur Einweihung kommen wird? Vielleicht geben wir dem Hochofen seinen Namen.

Aber erst einmal zurück zum Gemeinschaftseßraum. Dort trinken wir - stehend - Feldblütentee. Im Gemeinschaftsschulungsraum lernen wir eine Stunde lang Parolen aus Herbert Marcuses kleinem grauen Buch auswendig.

Dann marschieren wir singend auf die Felder hinaus. Einige bleiben zurück, die müssen Pflüge schnitzen. Wir anderen streuen Düngemehl.

Mittagszeit! Die Sirene heult, und das ist das Zeichen für uns, diszipliniert ins Geininschaftslager zurückzugehen. Zum Mittagessen gibt es Haferbrei und ein gutes deftiges Kommunebrot. Volker und Rainer haben es selber gebacken.

Dann lernen wir wieder eine Stunde Parolen aus Herbert Marcuses kleinem grauen Buch.

Am Nachmittag sind wir in den Baumwollfeldern. Hei, wie lustig die weißen Flocken in die Körbe auf unserem Rücken fliegen! Wir singen dazu Freiheitslieder amerikanischer Baumwollsklaven. Und wissen, daß wir eines Tages unser freies Kommunenleben auch nach Amerika hinüberbringen werden.

Inzwischen dämmert der Abend heran. Nun müssen die Kühe gemolken, die Ställe gesäubert, die Eier gesammelt werden. Wehe, wer ein Ei heimlich austrinkt!

Er darf am nächsten Morgen nicht mit zum Hochofenbau. Da sind wir alle wieder, Dieter, Volker, Rainer, Fritz und Ulrich und wie sie alle heißen: alle 84 männlichen Kommunarden.

Und drüben, jenseits des Zaunes, Dagmar, Agathe und wie sie alle heißen: alle 21 weiblichen Kommunarden. Wir freuen uns schon auf Sonntag in drei Wochen, da dürfen wir wieder für eine Nacht zueinander.

20 Uhr. Tier und Stall versorgt, das Hochofenwerkzeug für morgen bereitgelegt, die Baumwollernte verladen. Im Gemeinschaftseßraum gibt es Feldblumentee und kräftiges Kommunenbrot, das selbstgebackene. Wie das mundet nach getaner Pflicht!

Wer will, darf noch eine Stunde im Gemeinschaftsschulungsraum lesen. Bücher von Herbert Marcuse natürlich. Alle wollen.

21 Uhr 30 ist auch der letzte im Bett. Ich träume von meiner Arbeit am Hochofen morgen.

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Teufel! Ein Baby plärrt.

Ich schrecke aus dem Schlaf hoch. Das Baby plärrt immer noch. Das ist eine Realität, an die ich mich halten kann. Ich versuche, zu mir zu kommen und Traum und Wirklichkeit voneinander zu unterscheiden. Ich erhebe mich zu diesem Zweck und gebe Baby den Schnuller. Nun ist Baby still.

Zweifellos, dies hier ist die gute alte Kaiser-Friedrich-Straße, unsere gute alte Sechseinhalb-Zimmer-Wohnung, unsere gute alte Kommune I.

Und alles andere: ein böser Traum.

An der schwarzen Tafel lese ich, daß ich heute Küchendienst habe. Es geht auf Mittag. Ich lasse die anderen schlafen, bis der Kaffee fertig ist. Nach dem Frühstück werde ich, wie jeden Tag, zum Psychiater gehen. Ich werde ihm meinen Traum erzählen. Da haben wir viel zu besprechen.

Quelle: Der Blues