Offener Brief an Gustav Heinemann und andere

Amnestie hin, Amnestie her. Uns interessiert einzig und allein, was jetzt ist. Und so sieht es doch aus, lieber Gustav: Du bist ein kleiner liberaler Boss geworden, Richter und Staatsanwälte werden gefördert, die Prozeßlawine rollt und rollt.

Unser Karl sitzt seit mehreren Monaten in Tegel, mehrere an den Aktionen völlig unbeteiligte Genossen sitzen im Untersuchungsgefängnis Moabit. Kunzel, Teufel und die Frankfurter Brandstifter mußten emigrieren. Warum? Welches Viech haben sie gekidnappt, wen haben sie umgebracht, welche Städte haben sie angezündet?

Karl hat vors Gericht geschissen und seinen herrlichen Arsch mit Aktenblättern beschmutzt. Dieter und Fritz haben bei einem Go-In ins Schöneberger Rathaus das gesamte Abgeordnetenhaus mit einem MG niedergemacht, die Brandstifter haben ganz Frankfurt in Schutt und Asche gelegt.

Justiz hin, Justiz her. Uns interessiert einzig und allein was jetzt ist. Und so sieht es doch aus, lieber Justav: die Justiz jammert: "Das Nebeneinander von Anwendung der Gesetze und Erörterung einer Amnestie ist unerträglich. Man kann nicht mit gutem Gewissen unter dem Damoklesschwert einer Amnestie Recht sprechen." (Präsident des BGH, Robert Fischer). Dein Nachfolger hat ausgeplaudert, daß "deine Richter geltendes Recht anwenden, das tatsachlich überholt ist."

Und was ist eigentlich mit denen, die aus Versehen bereits den Knast kennenlernen durften (Teufel, Wetter, Schmiedel etc.), jetzt sitzen wie dieser Karl Pawla oder verfolgt werden? Bekommen die Haftentschädigung? Leisten die jeweils verantwortlichen Richter, Staatsanwälte und Schöffen auf den Knien Abbitte? Oder leitet der Generalbundesstaatsanwalt gegen dieses ganze Pack ein Verfahren ein wegen Freiheitsberaubung im Amt? (Das Heer der Popos schmenken wir uns lieber, sonst wird es zu kompliziert.)

Terror hin, Terror her. Uns interessiert einzig und allein was jetzt ist.

Fest stehe: wir haben aufgegeben zu jammern. Anfangs sind wir noch massenhaft friedlich vor die Justizpaläste marschiert - die Prozesse fingen gerade an. Dann haben wir alle Verhandlungen auf den Kopf gestellt - es prasselte Ordnungsstrafen. Am Schluß begannen vir, Fensterscheiben einzuschmeißen - die Urteile der letzten Instanz wurden verkündet.

Das Spiel ist aus. Die Frist ist abgelaufen. Wir lassen uns nicht mehr vertrösten. Und wir lassen uns auch nicht abschlachten. Und es ist ein Abschlachten, wenn man nicht mehr zärtlich sein kann, in einer Zelle dahinvegetieren muß. Wir spielen nicht die Juden. Wir marschieren nicht freiwillig in den Knast. Wir wehren uns, wir kämpfen, wir schlagen zu. Die Mittel dieses Kampfes bestimmen wir. Wir lassen uns die Mittel nicht vorschreiben. - Das haben wir gestern und vorgestern gemacht und nichts erreicht. Wir werden mit jedem Mittel den Justizapparat und den Staat, der hinter ihm steht, zerschlagen. Jedes revolutionäre Kommando bestimmt die Mittel des Kampfes selbst. Seit dem 28.2.69 schlagen wir zurück. Heute am 10. Dezember 69 wird Karl Pawla aus dem Zuchthaus Tegel dem Richter Loch in einem neuen Verfahren vorgeführt. Die Anklage lautet: Landfriedensbruch, schwerer Hausfriedensbruch und Sachbeschädigung. Der Tatbestand: Karl Pavla hat während der Verabschiedung der Notstandsgesetze mit hunderten von anderen Studenten das germanische Institut an der FU für mehrere Tage besetzt, das Rosa-Luxmburg-Institut mitbegründet und war Mitarbeiter des Senders Rosa Luxemburg. Loch hat Pawla in erster Instanz zu 10 Monaten Gefängnis verknackt, nur veil er der Justiz seine Scheiße vermacht hat. Wohlgemerkt keine Bombe, es war nur Scheiße, nicht daß eines Tages die Popos wieder behaupten: eigentlich war das gar nicht handelsüblicher Kot, sondern hochexplosiver selbstgefertigter Sprengstoff.
Damaliger Kommentar von Karl zum Amtsgerichtsrat Loch: "Vom Loch zum Arschloch ist es nicht weit." Dafür bekam er nochmals 4 Monate Nachschlag.

Fassen wir zusammen: von der Uni-Revolte zum Kampf gegen die Justiz, vom Knastologen zum Guerillakämpfer, von der radikaldemokratischen Massenbewegung zur Stadtguerilla. Ein schneller Weg, wir danken ergebendst. Und, das wollen wir in der Eile nicht vergessen, die Geschichte wird uns recht geben.

    Zentralkomitee der Palästinafront
    Zentralkomitee der Tupamaros Westeuropa
    Zentralkomitee der Frauenbefreiungsfront
    Die Kommandos: Schwarze Ratten, Schwarze Front, die Panthertanten, Che, Brian Jones, Amnestie International, Viva Maria

Quelle: Der Blues