Verstehste?

Quelle: HUMUS Nr. 3, 1979 - zur Verfügung gestellt von Der Grünen Kraft

Geschichten vom Metzger aus Breslau,
der Berlins Stadtfeind Nr. 1 wurde,
dann zuviel Pillen schluckte
die er sich dadurch verdiente,
daß er Menschen zum Lachen brachte;
heute nun ein angenehmer Zeit-Genosse ist
und jetzt 8 Monate Gefängnis anstehen hat:
WOLFGANG NEUSS

Als Ulli Zeitenwende die Tonbandaufnahmen des Gespräches mit W.N. hörte, meinte er: Das kann man doch nicht drucken. Das muß man hören. Da sollte man eine LP draus machen. In der Tat sind die heutigen Reden eines der (seinerzeit) ersten Wirtschaftswunderkritikers live lebendiger, klar. Doch solang (bis zur Cannabislegalisierung) er sich nur in den eigenen Wänden bewegt & unsere Schallplattenabteilung noch zu klein ist, erstmal was gedrucktes. Unter Druck: denn W.N. ist gerade zu 8 Monaten Gefängnis verknackt worden. Auf Bewährung. Doch ohne Bewährungsvoraussetzungen: er ist geständig, doch reut ihn nichts.
*pi*

Aufgewachsen im Breslau der zwanziger Jahre. Großeltern Budiker. Vater Richthofen-Flieger im I. Weltkrieg. Schlachterlehre. Mit fünfzehn mit geklau­tem Geld ausgerückt. Sehnsucht Zirkus, Clown. Verwahranstalt für Ausgerissene am Berliner Alex. Friedensende: Granatendre­hen. Krieg. MG-Schütze. Am Arsch ver­wundet. EK II am Bande. Rußland. Selbst­verstümmelung mit einem Karabiner, linker Zeigefinger futsch. Erster Einsatz als Front­komiker in Genesungsheimen (im Sudeten­land). Wieder nach Rußland. Nach dem Krieg: Bunte Abende. Mal als Hansi Neuss, mal alias Peter Pips. Wegen eines "antibriti­schen Witzes" scharf am Knast vorbei. "Lachkolonien" vor der Währungsreform. Erste Begegnung mit Tucholsky. Witze aus "Reader's Digest". Begegnung mit Wolf­gang Müller. Die "Pauke" wird erfunden. Begegnung mit Willy Brandt. Tingeln für die SPD. Fernsehn schaltet sich wegen einer "SPD-Wahlkampf-Pauke" aus. Als "anti­faschistisch-kommunistischer Doppel­agent" vor zigtausend Leuten in der "Wald­bühne". In den fünfziger Jahren mehr als fünfzig Filme, meist mit Wolfgang Müller. Geld wie Heu. Bundesverdienstkreuz abge­lehnt. Filmgeschäfte mit dem südafrikani­schen Diamantmillionär Oppenheimer. Er­ster eigner Film "Wir Kellerkinder". Tod des Partners Wolfgang Müller. Werbefilme für Damenstrümpfe. Fernsehkrimi-Serie. "Spiegel"-Story über den deutschen Karne­val. Filmgeschäfte mit dem späteren FIBAG-Verwickelten Winkel. Projekt "Ge­nosse Münchhausen" — ein Film über den Mauerbau. Soll "antikommunistisch" wer­den, (Lemmer gibt Geld), aber dann will er "für Brandts Ostpolitik" pointieren (Brandt gibt Geld). Verrät den Mörder in Durbridges "Straßenfeger" "Das Halstuch" — Auf­schrei der Nation. Kontakte mit der "Grup­pe 47". Kunstpreis der Stadt Berlin. Mit Pohland und Pfleghar in Hollywood, fil­men. "Das jüngste Gerücht". Eintritt in die SPD. Kontakte mit Helene Weigel und Wolf Kaiser vom Berliner Ensemble. Mit Bier­mann zusammen Ostermarsch in Frankfurt. Kontakt zu Konrad Wolf von der DEFA - wegen Biermann abgebrochen. Satire-Blatt "Neuss Deutschland". 1965: "Neuss Testa­ment". Kontakt zur "Subversiven Aktion" von SDS-Mitgliedern. Gegen die "Glöck­chen"-Aktion der Berliner Porzellan-Manufaktur zugunsten der Vietnam-Witwen in den USA. "New York Times" solidarisch mit Neuss. Verlegerverband ge­winnt Prozeß "Anzeigenboykott Neuss". Flugblattaktion mit SDSlern. (Dutschke, Horlemann, Levevre etc). Neuss "politi­siert" sich. TV-Aufzeichnung von "Neuss Testament". Hasch-"Premiere". Proben bei Piscator. Verfilmung von Grass' "Katz und Maus" mit den Brandt-Söhnen in Po­len. Sammlung im "Asyl" für den Vietkong. Unter Zadek: "Mühsam" - TV-Spiel. Mit SDSlern bei Barsig wegen "einer Stunde Sendezeit täglich für die APO". Unter Peter Stein "Vietnam-Diskurs". Auf Einladung des Bochumer Uni-Rektors Biedenkopf (später CDU-Größe) eine katastrophale Stunde Brachial-Kabarett. Immer mehr Ta­bletten in geringeren Abständen. Rausschmiß aus der SPD (wegen DFU-Wahl­-Appell). Und ununterbrochen: Diskussio­nen mit SDS'lern, deren "Theorien, Model­len und Systemen" der "praktische Bühnen­arbeiter" nicht gewachsen ist und die er schließlich flieht wie die Pest, in die "innere" Emigration...

Wolfgang Neuss

deutscher Kabarettist und Schauspieler

Wolfgang Neuss wurde am 3. Dez. 1923 in Breslau als Sohn eines Fliegeroffiziers aus dem Geschwader Richthofen geboren. Nach dem Notabitur im Zweiten Weltkrieg war er fünf Jahre lang Soldat, bis er sich durch Selbstverstümmelung dem Fronteinsatz entzog. Als Frontbetreuer zeigte er nun seine Begabung als Imitator, Parodist und Pantomime. Nach dem Krieg arbeitete er zunächst in der Landwirtschaft und als Metzger, trat dann aber wieder als Parodist, Imitator und Conferencier auf, wurde wegen allzuscharfer Witze eingesperrt und stand in Düsseldorf erstmals richtig als Kabarettist auf der Bühne. Er gastierte mit Mady Rahl in München, mit Ursula Herking in Hamburg.

Einer breiteren Öffentlichkeit wurde er seit 1950 als Filmschauspieler bekannt. Wichtigste Streifen: "Wer fuhr den grauen Ford?", "Schön muß man sein", "Die Spur führt nach Berlin", "Pension Schöller", "Miskosch rückt ein", "Ich hab mein Herz in Heidelberg verloren", "Man lebt nur einmal", "Von Liebe reden wir später", "Hollandmädel", "Keine Angst vor großen Tieren", "Die Kaiserin von China", "Weg ohne Umkehr", "Auf der Reeperbahn nachts um halb eins", "Des Teufels General", "Ein Mann vergißt die Liebe", "Die heilige Lüge", "Ich war ein häßliches Mädchen", "Der fröhliche Wanderer", "Unternehmen Schlafsack", "Mein Leopold", "Banditen der Autobahn", "Oberwachtmeister Borck", "Himmel ohne Sterne", "Charleys Tante'", "Der Hauptmann von Köpenick", "Ein Mann muß nicht immer schön sein", "Ohne dich wird es Nacht", "Frühling in Berlin", "Der müde Theodor", "Der Maulkorb", "Die grünen Teufel von Monte Cassino", "Der Stern von Santa Clara", "Wir Wunderkinder", "Schwarzwälder Kirsch", "Nick Knattertons Abenteuer", "Wirtshaus im Spessart", "Die Nacht vor der Premiere", "Schieß mich, Tell", "Kennen Sie die Milchstraße?", "Das Mädchen Rosemarie". Mit seinem 1960 tödlich verunglückten Komödienpartner Wolfgang Müller hat er insgesamt etwa 50 Filme gedreht.

Neuss trat seither auf der Bühne, beim Film, bei Rundfunk und Fernsehen und als Kabarettist auf. Er ist Autor von Komödien (u.a. "Tut's nicht ohne Liebe", "Zwei Berliner in Paris") und Drehbüchern; Produzent, Autor und Hauptdarsteller in einer Person war er in der umstrittenen Zeitsatire "Wir Kellerkinder" (60), die, weil im Fernsehen uraufgeführt, damals noch vom Filmtheater boykottiert wurde. In einem weiteren Streifen "Genosse Münchhausen" (62) führte er als Produzent, Autor und Darsteller außerdem noch Regie. Seit Dez. 63 machte er in West-Berlin das eigene politische Nachtkabarett "Das jüngste Gericht". Bekannt wurde er dann vor allem durch seine Ein-Mann-Show als "Mann mit der Pauke". Ende 1965 spottete sein Extrablatt "Neuss Deutschland" über Zeitungsaufrufe, die zu einer Spendenaktion für die Hinterbliebenen der in Vietnam gefallenen US-Soldaten aufforderten. Die Berliner Zeitungsverleger konterten mit einem Anzeigenboykott gegen Neuss. Das Landgericht Berlin wies seinen Antrag ab, die Tageszeitungen zu zwingen, ihn wieder inserieren zu lassen.

Wegen seiner mehrfachen Beteiligung an antiamerikanischen Demonstrationen und eines Wahlaufruf für die Deutsche Friedens-Union (DFU) vor der Bundestagswahl 1965 auf einer SPD-Kundgebung in Offenbach/Main, wurde N. im Feb. 66 aus der SPD ausgeschlossen. Danach zog er sich für einige Zeit nach Schweden zurück. Im Sept. 66 machte Neuss wieder Frieden mit der SPD. 68 gehörte er zu den Mitinitiatoren des Republikanischen Club e.V. in Westberlin. Im Sommer 67 ging das linke "Berliner Extra-Blatt", zu dessen Initiatoren Neuss gehörte, nach 14 Wochen Erscheinens wieder ein. Die Periode der Sympathie Neuss' für die Neue Linke gipfelte im Juni 69 in einem mißglückten Ausflug nach Chile. Man schob ihn als unerwünschten Ausländer ab. Obwohl Neuss 69 wieder aus der SPD austrat und der Wiederaufnahmeantrag von der zuständigen Parteileitung zurükgewiesen wurde, agierte Neuss im Frühjahr 71 bei Veranstaltungen der "Berliner Wählerinitiative" gemeinsam mit Günter Grass als Moderator, Plakettenverkäufer und Diskussionsredner für die SPD.

Sein bisher letztes Kabarettprogramm war "Asyl im Domizil" (68, bunter Abend für Revolutionäre unter Mitarbeit von Thierry und Enzensberger).

Nachdem er drei Jahre lang - wie der Spiegel formulierte - offensichtlich drogenabhängig "in den Untergrund weggetaucht" war, trat Neuss 1973 wieder auf der Bühne der Westberliner "Stachelschweine" auf. 1974 erschien das Buch "Gaston Salvatore erzählt die Geschichte des Mannes mit der Pauke. Wolfgang Neuss. Ein faltenreiches Kind." Das Echo war überwiegend negativ. Zumeist wurde bedauert, daß nur "Kümmerliches" (so SPIEGEL) zum Vorschein komme und wenig über den Menschen Neuss und seine Psyche.
Munzinger Archiv/ Internat.Biograph.Archiv 19.4.1975

So können Lebensläufe aussehen. Einmal gut bürgerlich vom Munzinger Archiv für Kultur (1975) und einmal Wolfgangs Langzeitgenosse Horst Tomayer in der KONKRET ('79). Mehr über seinen Lebensgang kann man in einem dicken Buch nachlesen: EIN FALTENREICHES KIND. Allende Neffe Gaston Salvatore hat sich mit Neuss zusammengehockt & aus hunderten Stunden Bandaufnahmen entstand diese "Geschichte des Mannes mit der Pauke".

Als er das erste Mal daheim ausgerissen war und kurz darauf als Strichjunge (?!) in der Verwahranstalt sitzt macht er mit dem Humor Bekanntschaft.

Ich habe manchmal gelacht und wußte überhaupt nicht, warum ich lachte. Wir haben überhaupt nur gesprochen, damit wir alle so oft lachten und nicht wußten warum. Dadurch kam das Wort Humor überhaupt zum ersten Mal an meine Ohren. Witz, Humor und Komik - das alles habe ich am Alex in der Verwahranstalt gelernt.

Der 2. Weltkrieg bricht an & er kann es nicht verwinden, als Brillenträger zurückgestellt zu werden. Ein verhinderter Held?

Ich sah mich ein ganzes Leben lang in Breslau. Ein Schattendasein. Die Straßen, die Mädchen, die großen Kapellen würden sogar im entfernten Breslau den Soldaten gehören. In diesen Tagen onanierte ich sehr viel. Doch irgendwie fehlte mir die Lust dazu. In meinem Versteck vergaß ich allmählich das Wort Kurzsichtigkeit. Es wurde alles ruhiger, auch trauriger. Ich war ein Ausgestoßener. Dieses Bewußtsein behielt ich.

Nach dem Krieg dann als berufsmäßiger Komiker unterwegs, sind seine Witze den britischen Besatzern ein Dorn im Auge.

Ich kriegte ein halbes Jahr Gefängnis: Verachtung der Besatzungsmacht. Nach drei Tagen holte mich Wanda ab. Sie hatte mit den Engländern gehandelt und mir Bewährung verschafft, und ich habe sie verlassen.

Weiter gehts.

Wir emigrierten nach Kassel, in die amerikanische Zone. Wenn wir Hasch gehabt hätten oder eine politische Idee, so wie Dutschke, nur einen Funken, hätten wir was weiß ich was angestellt. Nun war es
Winter 1947.

In der amerikanischen Zone lebte man schon längst Nachkriegszeiten. Das Bewußtsein davon hatten die Amerikaner mit massiven Mitteln fix eingeführt. Man rauchte viel und hörte die Deutschen mit amerikanischen Ausdrücken sprechen.
Die Amis kamen, etwas betrunken, setzten sich, legten die Beine auf die Theatersessel, sagten "Music".
Die Amis waren verzaubert. Sie lagen da, waren von dem "good boy Paul"
(seinem Partner) begeistert und haben sogar geheult. Wer Musik machen kann, hat immer ein Publikum.

Die Verhältnisse im Staat hat er bald gecheckt. Wie viele andere auch. Doch als alle am Wirtschaftswunder arbeiteten, lebte er davon, dieses Wirtschaftswunder durch den Kakao zu ziehen (Ausdruck der 50er für "Verarschen").

Nie hatte der deutsche Industrielle, die hiesige Bourgeoisie, gegen den Staat gekämpft. Nie gab es hier ein Konkurrenzverhältnis zwischen den verschiedenen Fabrikanten.
Zur Wiederentdeckung dieses Selbstverständnisses halfen die Amis mit Ihrem Marshall-Plan den restaurativen Reichen. Die Bevölkerung bekam die Pakete, und nach Herrn Marshall wurden - als Dank der Industriellen für die etwas größeren Pakete - bestimmt siebenhundertachtunddreißig Straßen in der ganzen Welt benannt. Auch die Kino-Industrie erweckte das Interesse der deutschen Industriellen. Aber mit den Geldern aus dem Fonds für europäische Aufbauarbeit konnte man alles machen, nur nicht Kultur oder Kunst. Man durfte den "Volkskörper" mit Milchpulver füttern, den ersten Stein der Wiederaufrüstung legen, die mafia-artigen Kartelle von Staat und Industrie wieder herstellen, das alles durfte man machen, nur nicht nachdenken. Es sollte noch eine längere Zeit vergehen, bis die Henry Ford-Foundation auf den deutschen Markt kam. Das war der "Fluch der bösen Tat".

Er lebte davon sich darüber lustig zu machen.

"Ich möchte die Heimaterde abfotografieren, weil ich aus Russland aus der Gefangenschaft komme."
Diese neuen Filmbosse waren Elektromeister oder Taxichauffeure in Neukölln, mit Schrebergarten. Sie wollten Filme drehen, nicht nur, weil sie damit Geld verdienen wollten, sondern weil sie Lieschen Müller eine Freude machen wollten, "also Lieschen Müller, das ist eine Tochter von mir, oder meine Mutter". Diese Leute waren selbst Lieschen Müller. Sie selbst wollten die Heimaterde im Film sehen. Da sie den Schwarzwald nicht in Berlin hatten, drehten sie Schwarzwaldfilme. Die anderen Deutschen wollten das auch. Sie wollten gefilmte Natur sehen mit einer unwichtigen Handlung. Das war nicht direkt nach dem Krieg, schon während des Wirtschaftswunders. Ein seltsames Verlangen. Kurz bevor sie sich einzementierten, wollten sie noch einen Aufschrei des "Naturmenschen" auf der Leinwand sehen.

Ich hab gestern was gelesen, von deinem ersten TV-Auftritt 1955, wo du zensiert wurdest, weil du deine Pauke nicht dabei haben durftest.

Ach das. Das war ja das Größte. In Freiburg. Da komm ich da an. Und da ist son Intendant und der sagt: "Neuss und Müller! Ihr Beiden! Wir werden den Bunten Abend abschaffen und die Revue präsentieren." - "Aha", sagen wir, Innerlich denke ich "Wir haben ja nur unsere Nummer. Artisten, ja. Immer die selben Witze - aber Riesenerfolg. Verstehst du: Artisten." Wir kommen zum Auftritt. Telefon. Sagt er: "Hören Sie mal Neuss, ich sitz hier gerade an meinem Kamin in Baden Baden und höre gerade, daß Sie mit ihrer Paukennummer bei der SPD Wahlreklame gemacht haben. Das können Sie hier, bei der ersten öffentlichen Fernsehsendung in Deutschland, nicht machen!" Sag ich: "Dann hab ich nix anderes zu machen! Krieg ich die Gage? 4000 DM. Alles klar." 1955, ja! Sag ich "Müller, du hörst sofort auf!" - "Kommt garrrnicht in Fraage!" - mein Partner! "Laß ich mir doch von dir nicht kaputtmachen, das erste Mal im Fernsehen! Endlich zu Hause zu sehen." - Ich sag "Gut". Er sagt "Mach mit. Hier setz dich in die Garderobe und dann wirste ab und zu mal zu sehen sein. Für 4000 DM." sagt Müller zu mir. Also ich setze mich in die Garderobe und die kommen mit der Kamera rein und die zeigen mich da, sone Wut hatte ich im Bauch, daß ich mit meiner Pauke nicht auftreten durfte. Ich wollte jeden Moment damit rausrennen. Da mußt du mal mein Glück sehen, wie ich außergewöhnlich wurde. Da komm ich nach Berlin und erzähl das einem von der BZ, da steht dann in der Zeitung "Neuss kriegt vom Fernsehen Baden Baden 4000 DM geschenkt"! So wurde die Geschichte erzählt. Jetzt paß auf. Ich vergeß das, freu mich und plötzlich kommt einer und sagt "Willst du mit der Paukennummer - so zwei Monate später - im Prälat von Schöneberg für 1500DM auftreten? Du kannst machen was du willst, anwesend ist der Bundestag. Bis auf Adenauer und Brentano sind alle da. Alle." (Die beiden statteten gerade ihren ersten Besuch in Moskau ab.) Ich überlege mir das kurz und denke, ist ein tolles Dingen, sind zwar 2500 DM weniger, aber die Chance hier, die Chance die hier rumliegt ... Am Tage der Aufführung setzte ich mich hin und schreib ein Telegramm an Intendant Friedrich Bischof, Baden Baden: "Bitte Sie heute abend wieder vor dem Kamin zu sitzen -stop- trete mit der Pauke im deutschen Fernsehen auf, die Sie nicht wollten -stop- amüsieren Sie sich gut. Ihr Neuss." Genau so. Der hat nach dem Telegramm einen Tobsuchtsanfall gekriegt, hat die Intendanten beeinflußt, pünktlich wie mein Auftritt kommt: Ernst Lemmer sagt mich an! Ernst Lemmer vorm Vorhang sagt: ...und jetzt kommt einer, ders ganz bewonders wissen soll: Wir sitzen alle in einem Boot! Das soll er nicht vergessen!" Ich denke, was sag ich jetzt? - Vorhang auf "...und ehrlich sag ich, daß er rudert!" Also dat war der Lacher, ja - und da war auch schon der Absteller. Das hat meine Mutter noch gehört im Fernsehn zu Hause, sagt se. Und dann kams Grau, sagt se. Und ich arbeite da wie ein Pferd vor diesen Bundestagsabgeordneten, Lacher auf Lacher. Ich merke, die SPD ist für mich, die feineren Leute usw., lachen wieder nicht aus Trotz, verstehste. Sonst hätte der Saal geknallt! Bin fertig, geh runter, frag "Wie wars?" - alle meine Kollegen: Fan-Tas-Tisch-wie-immer! Tschüs! Tschüs! Nehm des Geld, denke ich, diesmal denke ich, was machste diesmal? Fährste zurück? Ne, gehe in eine Weinstube ganz alleine, laß die Pauke im Auto, setz mich in Die Ecke, trinke ein Glas Wein, werde müde, fahre nach Hause, leg mich schlafen. War etwa 24 Uhr. Hab ich noch nie gemacht, ganz alleine. War auch mal gut. Aber um 5 Uhr, nee um Viere, da ging das Telefon. Krüger, vom "Abend". Hör, wat hammsen mir dir jemacht?" - "Garnix, sag ich, "Haste die Kritik fertig? Was wechst du mich überhaupt?!" - "Du warst garnicht!" Sag ich, "Wart da muß ich erst meine Mutter sprechen." Da bin ich nochmal eingeschlafen und morgens sagt dann meine Mutter "Nein, nein, du warst nicht, dä hat er schon recht der Herr Krüger. Der hat schon gestern abend einmal angerufen, wollt ich dir sagen." Da hat jemand auf mich aufgepaßt, Karl Hein Krüger vom "Abend". Seitdem denkt er, er besitzt mich! Der hat daraus ein Ding gemacht! Du, weißt du wo das gelandet ist? Der Otto Suhr im Parlament natürlich, ja, ich will dir nur mal mein Glück sagen, als Typ: Kurz bevor ich ins Parlament reingeh, sagt Willy Brandt, den kannte ich schon, aber da sah ich ihn das erste mal wieder als Parlamentspräsident, und ich hatte ihn nur in Bonn kennengelernt, da sagt er "Stell dir mal vor, mich haben se innen Gestreiften gesteckt!". Det is schon witzig, nich. So kam er auf mich zu. Stell dir mal vor, ... in den Gestreiften gesteckt ... hahahaha. Da hab ich echt gelacht. Damit hat er mich aber eingelullt mit dem Lacher. Gibt mir sone Zigarette, ich setz mich ins Parlament, jetzt gehts aber schon los. Otto Suhr verteidigt mich, der Intendant soll entlassen werden. Willy von hinten wieder als Parlamentspräsident macht Frieden. Am nächsten Tag steht in der Zeitung: NEUSS RAUCHT IM PARLAMENT. Für das ganze TamTam! Neuss raucht im Parlament! Damit du mal weißt wo ich damals drauf war! Hahahaha! Und ick denke, aba da kommt nu endlich was, ich hab im Parlament geraucht und das war verboten! ... Aber ich hab schon wieder im Parlament geraucht, ich bin mit Kongo Grass hingegangen und hab mit Friedchen Hutnagel (wahrer Name der Red. bekannt.) am Tisch geraucht. Echt. Ich hab mir gedacht, irgendjemand muß ich doch sagen, was ich entdeckt habe. Gott sei Dank hab ichs dir gesagt. Weißt du was sie zu mir gesagt hat? "Also gut, rauch Haschisch Wolfgang, aber paß auf daß de nich blöd wirst." Hahahaha. Die denken, wenn der Mensch nichts mehr vom Geld hält, ist er blöd. Und: is er ja auch. hehehe.

Aber da sind wir ein wenig zu schnell. Nochmal zurück zum Ablauf der Dinge...

Er war erfolgreich. All die Filme. Im folgenden Gespräch schildert er einige Episoden aus seiner Kabarettzeit. Hier noch einige jetzt-zeitliche Neuss'sche Geschichtshighlights.
Entre Freund Wolf aus dem Osten.

Kaiser sagte: "Hier, das ist der Biermann, das ist ein Typ, der wird wie du."

Biermann sagte zu mir nach einer Viertelstunde: "Komm doch mal mit mir rum um die Ecke, da habe ich die Gitarre."

Sein Vater war von den Nazis umgebracht worden. Das erschien mir aber drüben als nichts Besonderes, weil dort jeder so eine Geschichte hat; Kaiser hat auch so eine. An meine Geschichte konnte ich nicht mit Abscheu denken, weil ich mich immer für einen hielt, der nur reingeraten war. Auch bei Biermann war ich aber voll reingeraten. Er spielte mir Lieder vor und sagte mir plötzlich mitten in diesem höchsten politischen Anspruch, den ich als Inkarnation des Kommunismus auf zwei Beinen empfand:

"Paß mal auf, du bist bekannt drüben, du bist berühmt, du bist'n berühmter Mann. Ich mache gute Lieder. Solche Lieder kannst du nicht. Ich bin ein Poet, du bist'n Witzemacher, aber ich möchte durch dich berühmt werden."

Ich sagte: "Das ist doch selbstverständlich, warum reden wir da überhaupt drüber." ( ... )

Biermann wollte versuchen, im Westen aufzutreten. Er hatte schon in Westdeutschland eine Tournee gemacht und kannte SDS-Leute. Ich kannte die Gewerkschafts-SDSler. Es waren aber andere, die der Biermann kannte, nämlich die Kölner Fraktion KP. Sie hatten ihn schon längst im Köcher. Das war der Empfang, den ihm der Stalinismus im Westen bot, und er hatte nichts gemerkt. Er war richtig bei Lederer und Genossen reingetapst, mitten in den Stalinismus.

Als ich dem das sagte, meinte er, ich sei dämlich. Wenn ich die Theorie nicht in der Praxis lerne, dann lerne ich sie nie.

Eine gemeinsame Veranstaltung beim Ostermarsch in Frankfurt soll als Schallplatte aufgenommen werden.

Sie sagten: "Neuss, hör mal zu jetzt. Wir nehmen das Ganze mit dem Fernsehen auf."

"Kommt überhaupt nicht in Frage" und Biermann wie aus einer Pistole, aber hinterher, "oder es wird bezahlt."

Mit Mühe und Not haben sie uns abgerungen, daß sie drei Minuten das Licht einschalten dürfen.

Biermann übertraf sich selbst. Die Gitarre machte einen einlullenden Rhythmus. Dann ist der Text aufmunternd, wie eine Injektion in den Arsch und dann weiter die Musik. Das fehlte mir. Das machte den Erfolg. Ich machte mir daraus kein Problem, sondern ich ahnte, daß nicht die Worte Biermanns Erfolg ausmachten.

Ich ignorierte den Römerberg. Für mich war nur die Schallplatte wichtig. Ich hatte auch eine Verantwortung: Biermann. Ich brachte Philips was ein. Nie ein Wort des Dankes gehört. In dem Vertrag ging alles auf mich. "Da kommen wir mit den Gesetzen der DDR in Konflikt - Biermann - das machen wir nicht, alles mit dem Wolfgang", sagte Sternberg. Wenn ich jetzt Geld bekam, mußte ich dem Biermann die Hälfte geben. Wie das mit der Steuer ist, weiß ich bis heute nicht. Meine Auffassung war, daß es genügt, wenn ich einem Finanzbeamten sage: "Überlegen Sie mal, ich habe das Geld in den Osten gegeben."

Ich holte den Friedrich Luft und sagte ihm: "Der Biermann ist bei den Stachelschweinen." Ich ging richtig rum und machte das, womit er mich beauftragt hatte. Ich holte alle Leute zu sammen.

Der Gruner sagte gleich: "Mann, wat für'ne Kommunistensau."

"Na, stehste", sagte ich.

Wir waren beide auf den Jungen stolz. Biermann sang Lieder. Die hatte er überhaupt noch nicht laut gesungen. Auch gegen die DDR. Gegen bestimmte Funktionäre, die er so gut kannte, daß er das alles wußte, aber niemand sonst.

Wagenbach schaltete sehr schnell und nahm Biermann sofort in seinen neuen Verlag auf.

Biermann ging einen ganz anderen Weg. Ich meinte noch, er wollte als Freiheitsheld berühmt werden. Ich wußte noch nicht, daß er darauf aus war, literarischen Ruhm zu erlangen. Schon damals wollte er ein Klassiker werden. Und in drei Tagen. Ich machte für Biermann die Honneurs. Es war ihm alles zu wenig.

Die Ostermärsche gegen die Atombombe verliefen sich. Die singende Wandermeute ging frustriert nach Haus. Der Bomben wurden mehr. Das Ziel der neuen Demonstrationen war die amerikanische Vietnam-Politik. - Entre Rudi.

Außer mir fand in Berlin nur der SDS statt. Die linken Studenten besprachen eine Vietnam-Demonstration durch die Stadt. Ich sah einen Mann, der noch gar nichts zu sagen hatte, Rudi Dutschke.

Die ganze Sache wurde mit der Zeit zu heiß. Einmal das tägliche Leben, dann die Politik, dann das Kabarett, und vor allem: die Pillen. Und eine Eskalation an allen Fronten.

Wäre Rudi zu mir nach Brüssel gekommen, dann hätte er jetzt nicht drei Löcher im Kopf und der Bewegung ginge es besser und uns auch. Wäre er nicht hier so lange geblieben, hätte das Attentat nicht stattgefunden. Dann gäbe es täglich zehn Demonstrationen hier, so viel ist in der Welt los und nichts ist los. "Du mußt doch weitermachen, mach wieder ein Programm" So war Dutschke, als er aus dem Krankenhaus entlassen wurde. Gisela hatte ihm erzählt: "Wolfgang nimmt ununterbrochen Schlaftabletten und sackt weg."

Rudi konnte nur zwei Stunden sprechen, dann war er selbst weg. Er mußte sich erholen. So war es auch mit mir. Ich stand früh auf, nahm die Preludin, sagte:

Strauß als Lyriker
Niemand konnte ahnen
daß der 3. Weltkrieg
dadurch ausbrach
daß ich
durch günstige Konstellation
die meine Freunde und ich
vorher genauestens
zustande brachten
auf dem Stuhl
des Wissenschaftsministers
im Kabinett Erhard-Brandt
Mitinhaber wurde
der großen Koalition.

Ich bildete das deutsche Volk
nutzte die Atomenergie
angeblich friedlich
sah mir noch mal Brechts
Arturo Ui an
versorgte die Blumenkohlhändler
Westdeutschlands
mit Laser-Strahlen
trat dafür ein
dab die Bundesrepublik
der DDR Blumenkohl lieferte
(drüben machten sie Suppe draus)
und als sie merkten
daß es zu spät war
gingen wir von Fulda aus
los.

Diesmal kamen wir bis Aserbeidschan.
Das deutsche Volk war nicht schuld.
Der Wissenschaftsminister
war nicht schuld.
Die SPD war nicht schuld.
Die DDR allein war schuld.
Warum brauchten die auch Blumenkohl?

Neuss 1968
... Mich seht ihr ungebeugt
erwartungsfroh seid ihr.
Bald explodiert
was unser Kernreaktor Jülich 'friedlich' zeugt.
Die Börse jauchzt im Nazarette-Tanz
der alte Schwindel steht zum letztenmal im Glanz
Ein Hotelier verkündet: dies
Berlin — ein Heiratsparadies!
0 wehe
Zellermayer mit Honeckergermanski in 'ner Ehe...
Spree-Samariter rufen:
Arbeiter, A E geh! ...

"Es muß was gemacht werden."

Dann wurde es schon wieder dunkel, Winter, und ich nahm die Schlaftabletten wieder. So konnte man neben mir leben, aber nicht glücklich sein.

Ich wollte mir ein anderes Leben mit Freunden machen. Jeder, der kam, war mein Freund; also auch Bürgermeister Neubauer hätte kommen und sagen können: "Mir geht es schlecht." Ich wäre sein Freund gewesen. Ich war schon früher als die anderen der Clochard. Enzensberger sagte:

"Wolfgang, ich habe das Gefühl, du bist unser Opfer."

Er wußte, ich will aussteigen. Kunst war für uns bloß Ware geworden. Ich wollte nicht mehr auf der Bühne stehen. Ich kann nicht spielen. Ich kann wirklich nicht Theater spielen. Sondern "ich bin". Ich kann auch kein Kabarett machen, sondern "ich bin Kabarett".

Der Willy - 1965 war er mit Neuss' Werbesloganhit wahlkämpfend durch die Republik gezogen "Pack den Willy in den Tank!". Energiebewußtsein? Damals?

Wie sagte er selbst 1966?

"Reue ist nicht möglich. Wiederanfangen ist möglich."

Die Biermann-Neuss-Platte erscheint, dann das NEUSS TESTAMENT, seine Villon Show. Und Tom Schroeder schreibt in der SONG:

"Was die 'Welt' genial schimpft, kann nicht taugen, ichweißichweiß, marschier ja auch mit zu Ostern. Aber, und damit wird diese Aufnahme zum Orgasmus in der Geschichte des deutschen Kabaretts u n d der deutschen Presse, die 'Welt' hat recht."

Am 3. Dezember liest er in den Zeitungen den Spendenaufruf des Vereins Berliner Zeitungsverleger zugunsten von Witwen in Vietnam gefallener amerikanischer Soldaten, die aus West-Berlin mit Miniaturfreiheitsglocken beschenkt werden sollen (Zwei Tage später ist den Veranstaltern der Spendenaktion die Variante eingefallen, den größeren Teil der eingehenden Beträge für Medikamente zu verwenden, die den Opfern des Krieges in Südvietnam zugute kommen sollen.)

Noch am 3. Dezember formuliert Neuss seinen satirischen Protest gegen Porzellan-Freiheitsglocken als Trostpflästerchen für die Hinterbliebenen in Vietnam gefallener amerikanischer Soldaten. Druckt den Text als neue Nummer seines NEUSS DEUTSCHLAND. Verteilt mit Freunden am Abend des 3. Dezember und am folgenden Tage 5000 Exemplare auf dem Kurfürstendamm. Daraufhin verhängen sämtliche West-Berliner Tageszeitungen vom 4. Dezember an eine Anzeigensperre gegen Neuss und sein Kabarettprogramm NEUSS TESTAMENT.

Neuss enthüllt in seinem Wochenblatt NEUSS DEUTSCHLAND, daß der ganze Porzellandeal nur laufen sollte, alldieweil die Berliner Porzellan Manufaktur am Rande des Bankrotts angelangt war.

"NEUSS DEUTSCHLAND", 'Organ der Zentralhumoristischen Partei Deutschlands', und dann, 'Komiker aller Länder vereinigt euch'.

Er handelt sich eine explodierende Bombe im Foyer ein, als er gerade wieder die Leut zum Lachen bringt. Als die Attentatsdrohungen handgreiflich vorgebracht werden haut er ab - ab nach Chile, mit Freund Gaston Salvatore zum Onkel.

Am nächsten Morgen waren wir alle ruhiger. Allende hatte uns seine Segelyacht geliehen. Die Sonne schien und ließ mich das verkümmerte Chile und mein verkümmertes Ich etwas abbauen. Wir gingen segeln.
Ich dachte, daß Allende als Präsident des Parlaments eine schöne Segelyacht haben würde. Meine bittere Enttäuschung konnte ich nicht vertuschen. Es handelt sich um ein armseliges Segelboot, in dem ich während der ganzen Fahrt nur Wasser auspumpen mußte. Mir wurde übel, und ich mußte schnell aussteigen. Ich hatte "Empanadas" gegessen, eine Art Fleischpastete. Diese und der hohe Wellengang sorgten dafür, daß auch sämtliche Toiletten des Hauses am Abend kaputtgingen. Das Haus in Algarrobo war meine letzte Hoffnung gewesen. Jetzt stand es endgültig fest. Chile und ich paßten nicht gut zusammen. Schweren Herzens fuhren wir mit unseren beiden Autos die schüchterne Straße nach Santiago zurück. Eines Morgens kamen vier Polizisten in Zivil in die Wohnung von Gastons Mutter. Michael versteckte sich im Badezimmer des Dienstmädchens. Wir mußten aber zur Polizei. Es wurde ein langes, aber freundliches Verhör. Als wir wieder freigelassen wurden, war ich fröhlich, aber ich merkte, daß Gisela und Gaston lange Gesichter hatten. Wie immer lebte ich in einer privaten Welt voller Sehnsucht. Und ich wurde natürlich dementsprechend behandelt. Unser Hund hatte es mit mir verglichen weit besser.

Als Neuss noch auf die Pauke haute ...
Tja, was ist aus Wolfgang Neuss geworden, aus dem wohl intelligentesten, witzigsten, begabtesten Spötter der Nation! Aus dem umjubelten Starkomiker des deutschen Film, dem mehrfachen Bundssfilmpreisträger. Was ist aus dem Intimfreund von Willy Brandt und Günter Grass geworden!
Mein Gottl

Einer der vier Polizisten, die uns abgeholt hatten, war besonders gutmütig zu mir. Er benahm sich, als ob wir alte Bekannte wären. Als Brandt zu Besuch bei Frei gewesen war, hatte er mit der deutschen Geheimpolizei zusammenarbeiten müssen. Er war befreundet mit einem der größten Geheimpolizisten in der Bundesrepublik. Dieser Mann ist heute Botschafter irgendwo in Afrika.

Als ich viel später wieder in der Bundesrepublik Brandt traf, der schon Bundeskanzler war, fragte er mich:

"Wat war denn ich Chile los?"

"Ich sage nur ein Wort", antwortete ich, "Rufus."

Brandt sagte: "Um Gottes Willen."

Mit ihm konnte ich immer Code reden.

Wenn heißes und kaltes Wasser zusammenfließt, dann ist es eine ganze Strecke lau. Es gibt Leute, die versuchen, das Laue wieder in heiß und kalt zu trennen. Das gab's noch nie und gibt's nicht, trotz Laser-Strahlen.

Faschisten, bitte nie zu vergessen, sind nicht nur unsere Feinde, sagt ein heutiger Parteivorsitzender südlich des Mains, sondern sie sind auch die Feinde unserer Feinde und als solche brauchbar.

Einmal wird das Koblenzer Filmarchiv einen dokumentarischen Kurzspielfilm herstellen mit dem primitiven Arbeitstitel "Spätheimkehrer Adolf Hitler". Kurze Handlung: Der Mann trifft im Lager Friedland ein. Es beginnt das große Zittern in Bonn. Die vielen Nazis in den Ministerien, die zittern, daß der ehemalige Führer verraten könnte (er muß es wissen), daß sie nie Nazis waren und keine sind. Eine völlig neue Dramaturgie. Es ergibt sich die Perspektive, daß die heutigen Leute in Bonn sich nur verstellen, um des Vertrauens des deutschen Volkes nicht verlustig zu gehen.

Gebt doch dem Bulln aus Rott am Inn
zurück's Ministeramt.
Ihr habt ihn doch nicht für die Ewigkeit verdammt.
Ihr wißt
sein Appetit auf Macht ward ihm zum Grab
die liberalen Neider knöpften ihm sein Pöstchen ab.
Schaut auf den Kerl
ein weibverschlingender Koloß
er ist für das System (in dem ihr gerne lebt)
der ideale Boss.
Ein Mann der halbe Kälber zehrt
ein Krematorium voll Fleisch und Bier
sein Leib bringt ihn nicht um.
Der Franz aus dem Moränenland hat mehr Verstand
als selber du!

Der Zwerg duckt sich
Neuss schaut jedoch ganz woanders hin.

Nur e r schafft aus der CD eine orginale NSCDU
Faschist ist er?
Ei freilich
doch ich sage mir
ein kalter Ofen ist der Grund warum ich frier.
Was uns erwartet
das verrät uns Strauß aus erster Hand.
Rehabilitiert den Mann
er liebt sein Vaterland.
Verzeiht ihm doch
daß er zu früh euch weckt
zur Schlacht um's Abendland
die euch - ich weiß - nicht schmeckt.
Ach wenn die westzonale Sau sich bunt benimmt
So seid ihr wenn sie sich eins grunzt -
noch lange nicht froh.

Neuss: Nein danke!
STERN Nr. 28/1977: "Schaut her - ich bin's - Bericht über den Ex-Kabarettisten Wolfgang Neuss.
In einem Fernsehfilm, den ich vor vier Jahren über Neuss drehte, sagte er zu Beginn: "Ich hab' lange gebraucht, bis ich endlich oben war, Karriere, Popularität: Es war harte Arbeit. Jetzt arbeite ich am Gegenteil: Wie werde ich unbekannt. Ich bin sicher, ich schaffe auch das."
Das alles wollte er. So und nicht anders. Ein Leben ohne Hintertürchen. Ein Lebenslauf, zum Fürchten grade: so ernst kann es nur einem sein, der sich mit dem Spaß auskennt auf Gedeih und Verderb.
Vor konsequenter, ehrlicher Haltung kann man den Hut ziehen, wenn man will. Aber Wolfgang Neuss als Objekt kleinbürgerlichen Mitleids? Schaut her, er ist's? Nein, danke. Und die Moritat vom bösen Kellerkind, das nicht hören wollte und deshalb fühlen muß, die hat er, mitsamt schaurig-schöner Moral, auch heute noch selbst am besten drauf. Da bin ich ganz sicher.
VOLKER KÜHN
Autor und Regisseur
Schmitten

DES TEUFELS TRIBUNAL heißt vielleicht mein nächstss Programm. Mit der Inhaftierung des Studenten Fritz Teufel betrieb die Westberliner Justiz das, was sie dem Studenten zu Unrecht vorwarf: Landfriedensbruch. Meiner Meinung nach hielten sie ihn deshalb solange in U-Haft, weil sie fürchteten, daß er nicht flieht. Meine Damen und Herren, Sie müßten sich in Moabit mal ansehn, was dort für Ihr gutes Geld Recht und Gesetz verdreht! Abgesehn von den menschlichen Unzulänglichkeiten, die dieser Richter vorzeigt. Nun hat er schon die dumme Angewohnheit, statt auf den Wangen auf seiner Glatze rot zu werden. Und dann fragt er noch den Langhans: Angeklagter, haben Sie sexuelle Schwierigkeiten? Prompt sagt Langhans: Sie nicht, Herr Richter? Prompt wird die Glatze rot, der Saal brüllt und schlägt sich auf die Schenkel, der Clown im Talar springt auf und läßt den Saal räumen.

Wer hier Vertrauen in die Rechtsprechung behält, der könnte sich auch freiwillig in die eines Militärgerichts in Athen begeben.

Zum nächsten Tage der deutschen Einheit - 17. Juni - soll jeder westdeutsche Arbeiter einen italienischen Gastkommunisten zugeteilt bekommen, damit er sich in geistiger Auseinandersetzung auf die Wiedervereinigung vorbereiten könne!

Dann kam der Pillenknick. Hoch auf der Woge der Popularität verläßt er die Bühne.

TIP: Wolfgang Neuss, wann war Dein letzter Auftritt als Kabarettist?
Neuss: Am Lützow-Platz im Domizil, 67 mit viel Stil - vor zehn Jahren war das. Das Programm hieß "Asyl im Domizil".
Tip: Andere Kabaretts arbeiten heute erfolgreich; neue kamen hinzu. Neuss: Mensch, die arbeiten wie die oben arbeiten. Das kannst du doch sehen. Du kriegst ja die Kinnlade gar nicht mehr zu. Sie machen ihre Witze über Kaiser Wilhelm und Strauß, über die CDU. Das sind die Kartoffelkäfer, die Mitesser. Die werden nicht ausgedrückt, man läßt sie essen. Ich freu mich auch über einen alten Witz von Wolfgang Gruner. Die Art von Gruner ist stärker als der Witz. Aber was machen die Leute schon. Uns fehlt heute der ekstatische Künstler, der seine Ekstase perfekt kontrollieren kann und sie nicht Kommunismus oder Christentum nennt. ("Tip" '77)

"Ich will", so hatte Neuss aus Nirwana verlauten lassen, "noch gar nichts machen. Ich habe mich für die achtziger Jahre gedacht." Doch dann ließ er sich überreden zu neuem Anfang - wie "bei jeder Sache wieder mal bei Null". ("Spiegel" '73)

Und von einigen kleineren Rückfällen abgesehen bleibt er der Bühne fern. Die Bildzeitung wundert sich.

Fußboden. Mehr nicht. So elend ist sein Leben heute. Er selbst nennt's aber "meditieren".

Die dünnen, fettigen Haare fallen ihm wirr auf die ausgmergelten Schultern. Sein zerknittertes Gesicht ist gelblich fahl. Er hat alte zerissene Jeans an darüber ein schwarzes Hemd.

Gott, wie krank kann nur die Presse sein? Eines der wenigen Zeichen vom Neuss der 70er Jahre war sein Tonkassetten Interview in der PÄNG.

Päng: Du willst also nochmal auftreten? Hast du nicht die Schnauze voll von Film, Funk, Telewischen, Radio, Bücher schreiben, Entertainer sein ... Neuss, bist du nicht endlich froh, einer von uns zu sein?
Neuss: Nee Nee, ich seh es so: ihr seid endlich froh, einer von mir zu sein. Vergesst doch bitte nicht, wer euch mal angetörnt hat. Das war Ich. Ich hatte zwar nichts besseres als Worte, damit jedoch habe ich eure Gehirne in den Fuffziger und Sechziger Jahren angestachelt, eben bis zum "geht nicht mehr" und als ich dann nicht mehr weiter wußte, habt ihr mirs halt gegeben. Wodurch ich mich gefunden habe.

Päng: Wiedergefunden haben wir dich in der Bildzeitung, runtergekommen ...

Neuss: Ihr Schelme ...

Päng: Mit schmutzigen Fingernägeln an einem Stück schwarzen Haschisch kauend, leere Wohnung, kein Telefon, kein Fernseher.

Neuss: Hätte selbst nie gedacht, daß es mir nochmal so gut gehen würde ...

Und dann die Sache mit den Schüssen in der Nacht, die ihm die Polizei ins Haus brachte, der wiederum 39 Gramm Haschisch einbrachte & Wolfgang einen Prozeß zu dem ich ihn ausgiebig befragte.

Lieber Werner,
Du müßtest mit Neuss selber sprechen, dann gäbs für Dich sicher keine Zweifel - ja es ist eine lange und z.T. eben leider auch böse Zeit - aber Neuss war die ganze Zeit immer ER selber - minus seine wohlverstandene Aggressivität aus Haß/Liebe gegen diese verd. Gesellschaft und SEIN Problem ist: was macht ein Individualrevolutionär wenn er die Gemeinsamkeit anfängt zu wörtlich zu nehmen (68ff) - d.h. wenn das, was ER die ganzen langen Jahre über ALLEIN und GEGEN den Frontstadtterror aus tagtäglich 2 1/2 Millionen Dreckschleudern gemacht hat ALLGEMEINGUT wird (Studentenbewegung), - und ER als Künstler (!?) als ER, NEUSS, angefeindet wird - einesteils aus Ressentiment, dann aus Gleichgültigkeit gegen JEDE -ROLLE- und das ist ganz wichtig! - trotzdem: Neuss war einer von den ECHTEN, die OPFER wurden. Ich kenne ihn als Triumphator, als Sadisten, als Genossen (sit-in), als 'Komödianten' (auch sit-in, resp. Hungerstreik - das war schon Sprachregelung!) - und dann durfte man nicht mehr lachen ... (ich glaube auch deswegen ging Neuss damals nach Südamerika). Guck Dir evtl. bei Gelegenheit die Filme an: Wunderkinder, Wirtshäuser im Spessart ... - sein 'NEUSS-Deutschland. - Ich möchte sagen: er hat sich kastriert. Was ist der Satyr ohne sein böses Spiegelbild? und dazu gedrängt haben WIR ihn, er hat an sich selber gezweifelt (wie viele damals) und dann ist er die Indianersquaw geworden (herrlich, sein Bild über 2 Millionen Glotzen!!! ... "das nächste mal werd ich meine Zehne richten lassen" ...) (aber daß 58 Millionen über IHN l a c h e n, DAS ertrage ICH nicht, noch schlimmer: daß diese Perversitätsagentur-Springerpresse mit dem üblichen Berlinharmlosgetue die Sensation allfällig rausdonnert: Blutbad in Neusswohnung - das wäre ja garnet so übel, wenn es net so verlogen wäre - nach der Technik: erst als Dämon verteufeln, dann als armes Würstchen präsentieren - bittesehr: jetzt! der NEUSS von DAMALS! DIE haben ein Gedächtnis - eben wie ein Computer!
H.D. Heilmann

Es war gar nicht so einfach, ihn ausfindig zu machen. Mit Hilfe von H.D. Heilmann kam es dann im August zu einem stoneden Zusammensein in Berlin. Die Lokalität: Wolfgang Neuss' Wohnung irgendwo, unauffällig berlinerisch über ner Kneipe. Große Räume mit nix drin. Die Wohnungstür seit 7 Jahren immer offen, die Wohnungseinrichtung: quasi nicht existent. Ein Matratzenlager, eine Handvoll Bücher, ein Mischtischchen, ein Mischtischchen für Gäste. Und sonst rauchschwangere Leere. Der Abend verlief "absolutly in high spirits", was meinen Begleitern einige Probleme verschaffte, da es den Anschein hatte, als wollten sie mit dem Neuss der sechziger Jahre reden. Doch, er war sehr HIER & JETZT & es war mir ein freudiges Erlebnis, einen solch lebensfrohen, humorvollen Mittfünfziger zu treffen. Und wenn man sich die Durchschnittsmittfünfziger in diesem Lande anschaut ... naja. Aber lies selber.

Ich hab mich hier reingesetzt damals in die Wohnung, als ich merkte, ich bin von diesen Tabletten, die ich nahm - du darfst nicht vergessen, ich hab Tabletten genommen, während die Hippies in Berlin Hasch geraucht haben. - Mein Publikum hat Haschisch geraucht und ich hab sie noch mit Tabletten unterhalten. So weit zurück war ich. Ich war der letzte. Und als der SDS längst Haschisch geraucht hat die Politik Politik hat sein lassen, da hab ich noch auf der Bühne gestanden und Tabletten genommen, und dann bin ich noch nach Chile mit Tabletten gefahren. Und hatte trotzdem in meinem Gepäck eine Liste wie man LSD macht. Verstehst du das? Ich meine, wie die da reingekommen ist, weiß ich selber nicht. Von irgendeinem Studenten, ich sag "Was soll denn diese Liste bei mir? Ich nehme doch Preludin." Da sagt er: "Mensch, ich nehm das doch auch nicht, aber wenn wir mal Geld verdienen müssen ..." Genau so war es. Da steck ich das Dingen ein, wa, und nehm es mit nach Chile. Und das kannste dir vorstellen: 10 Seiten in englisch, wie man LSD herstellt. Ha! Nie aufgefallen damit. Is angekommen dort. Aber ich mein, ich war der perfekteste Agent, ja ... das wollte ich nur einschieben ... das spielt jetzt keine Rolle bei der Geschichte ... Nun, ich hab gemerkt, es geht nicht mehr weiter mit der Politik. Und vor allem eins hab ich gemerkt: ich kann ja nur protestieren. Ich könnte noch komisch sein auf der Bühne, wenn ich einverstanden wäre und ein Publikum hätte, das einverstanden wäre ... Ich war der Meinung: Protest geht nicht mehr. Da hab ich mich hier reingesetzt 7 Jahre und, Moment mal, was mache ich - Ich törne, törnen heißt, das hab ich nicht gewußt, daß man Innen spricht, und nicht Außen. Und da war das Loch. Da hab ich gemerkt, daß der SDS und bei den Intellektuellen in Deutschland, die haben nicht weitergeraucht, weil sie die Sprache, die sowieso schon wertlos ist, weil sie ja spielt ... das wertvolle ist ja dies: Das hat ja Haschisch und LSD als erstes gebracht:

Das Schweigen. Und die Leute haben sich wohlgefühlt, und haben gesagt: wenn nicht schweigen, dann Musik, und die Sprache ... huuitt ... war weg. Und die Intellektuellen hängen in der Luft. Wie ich mich zurückgezogen habe, habe ich det nach 4 Wochen törnen gemerkt. Und dann hab ich gedacht: Große Zukunft, ich bin im Kommen, ich muß mich nur erstmal abschaffen. Also wie schafft man sich ab? Ich bleibe hier sitzen und löse mich auf, ja. Da kommt hier nach sechs Jahren von der Berliner Scene einer rein, weckt den dort drüben. Ich denke ... nie is sowas sonst vorgekommen, ja ... weckt den dort drüben, ich geh rüber und sehe ne Pistole in der Hand und denke, paß mal auf - ich laß hier ja schon keinen mit Alkohol herein - und kriege eine Panik und will dem eine scheuern, also wenn ich gereizt werde ... der rennt raus und eine Minute später ist die Polizei hier, ja, weil ich sowieso immer die Polizei bin, kommen rein, sagen "Wolfgang, was ist los hier? Ist geschossen worden?". Sie nehmen ihn ins Krankehaus (+ W.N. Mitbewohner Tommy, Anm.d.Red.) und nehmen mir 30 Gramm Shit weg, sagen "Guten Morgen. Komm mal mit raus" sagen sie, duzen mich ja alle, kennen mich ja alle, ja. Sieben Jahre ist hier offen, verstehst du! ... Dann stiegen wir in 4 Polizeiautos und 35 Gramm Shit, den sie jeden Tag hätten hier finden können, wenn se wollten. Seit 7 Jahren, weil ich immer in der Bild Zeitung, in Päng, in jeder Zeitung in die ich konnte - und dann des, ja ...

Das will ich noch erzählen. Das geht heute schnell, da muß ich euch warnen: Die sind ja sofort mit einem Psychiater bei der Hand, wenn sie nicht weiter wissen. Weil sie nichts wissen! Weil sie nicht aufgeklärt sind, die Richter. Weil sie nicht mal rauchen, sonen Joint. Sofort, wenn sie nix wissen: Psychiater. Zufällig ist der Psychiater, also zufällig war er da (bei der 1. Verhandlung, Anm.). Der will mir helfen und sagt folgenden Text: "Herr Neuss ist ein todkranker Mensch! Der macht jeden Tag 7800000 Selbstmordversuche ..." so ähnlich in dem Sinne, läßt er es raus. Ick merke: er will nur helfen. Er will mir helfen, so sag ich, "ich unterhalt mich gerne mal mit ihm". Und daraus machen die („die” von der Presse, Anm) - ich muß mich untersuchen lassen. Dann sag ich zum Staatsanwalt, ich war ja ohne Verteidiger da, "Ich hab auch 6000 LSD Trips genommen". Da guckt die Richterin mich an, da guckt sie den Staatsanwalt an, da sagt der Staatsanwalt "Da würde ich eine Einweisung (aber ganz freundlich) in eine psychiatrische Anstalt erwägen." Und daraufhin sag ich: "Diesen Antrag ziehen Sie aber ganz schnell zurück", weil ich überlegt habe, wenn ich sage, ich habe einen LSD Trip genommen, dann würde er das nicht erwägen, du verstehst. Nur die Zahl hat er erwogen. Wie mit den 16000000 Toten ein bißchen, ja, immer wieder: die Zahlen. Einer reicht ja auch, kann er mich ja auch einweisen lassen.

Ich bin einmal in meiner Törnzeit weich geworden, zweimal bin ich weich geworden. Einmal hab ich ein Buch geschrieben, da bin ich unerhört rückfällig geworden, das war der größte Fehler, denn schreiben soll man überhaupt nicht, wenn man törnt, überhaupt nicht. Ne Zeitung ist nur gut, damit ES legalisiert wird - und dann unterhalten wir uns anders. Über Radio. Klar. Sobald es legalisiert ist, legen wir los. Dann brauchen wir doch lesen ... wir wissen doch jetzt was vorgeht, wir lesen, es tut sich ins Gehirn und nachher leben wir es ab. Das brauchen wir doch nicht unbedingt. Deswegen ist meine Parole erstmal: die Intellektuellen müssen angetörnt werden. Je eher in irgendeinem Land die Intellektuellen wie Böll, Enzensberger, nicht nur angetörnt werden, sondern Sitzungen durchführen im Sinne von Leary und LSD, wird das geistige Klima sofort besser. Du verstehst. Die bringen immer wieder das alte mit Alkohol von oben runter und unten müssen sie immer wieder arbeiten. Das selbe Zeugs - und denken, es ist was Neues.

Das Heidelberger Patienten Kollektiv war voll auf dem Timothy Leary Trip (siehe sein Statement nach der Befreiung durch die Weathermen seinerzeit): LSD & Gewalt. Heut war gerade das Urteil gegen die Meyer-Haag-Leute. LSD mit Gewalt, das ist eine Sache die nicht geht, denn das LSD ist erfunden worden um den Krieg zu beenden. Und zum Krieg gehört die Gewalt. Natürlich findet heute die Gewalt beim Auto statt, aber vergiß nicht: das Auto fährt auch nur deshalb, damit wir uns nicht selber in die Fresse schlagen müssen. Darum wird so gerne Auto gefahren. Vergiß das nicht: der Faschismus ist der große Baukran da draußen! Den könnte man ruhig so grüßen (streckt "heilsmäßig" den Arm in die Höh'.) An som Kran geh ich mit erhobenem Arm vorüber. Echt. Da können wir glücklich drüber sein.

Wie gesagt, wenn ich vor Gericht gehe, sehe ich mich selbst da sitzen. Ich bin der Staatsanwalt, ich bin der Richter, ich bin auch der Psychiater und ich merke: alle wollen mir nur helfen! Und es geht nur darum, sich vor dieser Hilfe LEGAL zu schützen, nicht illegal zu schützen. Wenn du nämlich anfängst, dich illegal gegen diese Art von Aufdringlichkeit zu schützen, machen se dich total irre, da verfängst du dich selbst. Du mußt dich legal schützen, nämlich mit deiner Bürgernähe. Also, das ist es: isolieren und bürgernah sein.
Uns schadet nur noch Eins: Illegalität. Darum müssen wir sie, wie man früher beim SDS sagte, Liquidieren!

Jetzt ist das die Welt Gesundheits Organisation von der UNO, die längst über LSD und Haschisch total Bescheid wissen, durch den CIA. Längst genau informiert sind, es muß erlaubt werden. Illegalität schadet! Illegalität in der Welt - es gibt keine Geheimnisse mehr, sodaß Illegalität geradezu eine Posse ist. Die gibts nicht mehr. Die ist aufgehoben durch diese irrsinnige Werbeindustrie, die kann ich garnicht hoch genug loben. Unsere schlimmste Werbeindustrie - hat sich wirklich bezahlt gemacht, denn die hat die Illegalität aufgehoben, denn, wenn du dich noch versteckst irgendwo, bist du für die BILD Zeitung das größte Objekt, du hast ausgesorgt für dein Leben! Verstehst du das? Du hast begriffen. Illegalität ist nicht mehr, warum dann noch mit diesen Sachen - wo doch Himbeergeist erlaubt ist, ich sag dir noch ein edles Gewächs: Nobel Auslese Rüdesheim, letzter Heuler der Saison. Da hat ein Rudolf Gelpke bei Istanbul - ein Mann der Wissenschaft wirklich!, ein Literat - Haschisch geraucht und Wein getrunken und hat nen Gehirnschlag gekriegt. Wo ist die Veröffentlichung im KOMPOST (hier, Anm ). Das muß man doch wissen, man muß es mal wieder erwähnen, daß es nicht sehr gut ist, seinen Geist mit Schitt aus dem Körper rauszutreiben und mit nem Schluck Bier wieder reinzutreiben - das es dann xcyxyzb macht, und wenn nicht bei dir, dann beim Nebenmann ... da ists doch mit der Aufklärung ... überhaupt nichts. Und unter dieser nicht-Aufklärung leiden wir folgendermaßen: Da sagt die Richterin (W.N. winselt in demütigster Stimme) (innerlich!):
"Ja, das geht doch nicht ums Haschisch - es geht, schluck, ums LSD",

Den Fixern die überlebt haben, darf man nicht gehorchen. Man muß auf die Fixer hören, die es nicht überleben. Was die erzählen. ... Ich bin eigentlich auch son Typ. Laß es aber, weil - ich hab mir nen Finger abgeschossen. So wie Fixen. Schieß dir einen Finger ab, ein Glied, biste auf der Krüppelgeraden drauf, kann dir nix mehr passieren ... wenn de LSD nimmst ... biste immer dabei ... da & da. Einmal war hier ne Braut, die hat gesagt, Leary hätte sich zwei Finger abgeschossen - aber dat glaub ick nicht.
Die wollten ja jetzt bei dem Verfahren meine Schuldfähigkeit feststellen, um das ganze mal juristisch zu erklären. Wenn ich nicht schuldfähig bin, werde ich frei gesprochen, aber ich kriege ne Auflage, und ich brauche keine Auflage. Verstehst du. Ich lasse meine Schuldfähigkeit, hab ich gesagt, nur öffentlich feststellen ... die wollten mir son Gehirnstrom aufsetzen, da in der Anstalt, wollten das alles messen und ich finde das irgendwie unwürdig. Also, das LSD läßt sich sowas nicht gefallen. Ich mache mich da sofort derartig lächerlich darüber, daß ich bei dem Mann sofort irre wirke und das Ganze ein Gewaltakt wird.

Das Da-bleiben. Wir sind anwesend. Wir erfahren jetzt, wofür wir auf der Erde sind. Ist garnix ernstes, ist heiter. Die Botschaft ist heiter.

LSD verlangt Erinnerung ... auflösen ... in was? ... in Wohlgefallen. Also ich erinnere mich, ich hab vor 25 Jahren im Krieg nen Mann erschossen, das sehe ich jetzt ganz genau noch, und wie wiederholt sich das? Das wiederholt sich immer, wenn man es nicht auflöst. Der tiefe Wunsch der Menschheit den äußeren Frieden zu wahren, ist da mit drin, in dem LSD. Also nicht mehr zu schießen. Warum? Weils logisch ist. Wenn der Mann sich ins Bett legt, stirbt er so ... der Geist geht langsam raus ... es kommt zu einer Art Todeskampf ... da geht der Geist raus, ein letztes Stöhnen ... so sterben die Leute seit ... immer im Bett. Wenn geschossen wird ... rrrrtttttt ... gehen die Geister so aus dem Körper raus ... huittt ... huittt ... huittt ... - haste verstanden? - und diese Geister kommen auch huitt huitt huitt so wieder in die Leute die da rumlaufen rein. Da ist mit Erinnerung nix, das heißt eben: fixen, da kommt man ins Irrenhaus, da ist mit Erinnerung nix mehr zu machen.
Das wollt ich dir noch zur Psychiatrie überhaupt sagen.

Früher, wo ich links war, war ich für die Leute im Knast; jetzt bin ich Geist, jetzt bin ich für die Leute im Irrenhaus, für die muß man doch was tun. Was? Shit, sofort. LSD sofort. Heroin sofort. Alles sofort. Warum ... kennst du diese Typen ... (stößt wahn-sinnige Laute aus & schneidet zuckende Grimassen) ... diese Idioten, oder diese ... Die Irrenhäuser sind voll. Du hast die Bilder gesehn von den aufgemachten Irrenhäusern in Italien, wie da die vergeistigten Gesichter ... rauskamen aus den Irrenhäusern ... was sind denn das? Damit wir das verstehen ... da sind Geister zu sehen, die sich auf diesem geliebten Gesicht wieder verkörpern wollten ... hast du verstanden? ... aus dem Krieg. Bei den Leuten die im Bett sterben, da kommt der Geist auf ein Kind was geboren wird. Du weißt ja, es ist ein ständiges Kommen und Gehen auf dieser Erde. Das heißt also: seit Leary wissen wir, es gibt keinen Tod, es gibt nur Sterben und Geboren werden - und das macht man mit LSD ... jedem erlaubt man mal in ner Wolke zu sitzen, darum gehts nur, um diese Art von Schulung & um diese Art von Wissen. Es gibt keine Irren. Es gibt nur Geistes-Gestörte, gestört von einem Geist, der nicht verstanden wird von deinem Körper. Die Leute können in dieser industriellen Welt nicht zum Meditieren kommen, sie sind derartig am Spekulieren ... die Zunge spekuliert ganz alleine, da kann das Gehirn aussetzen, da spekuliert die Zunge ... es gibt keine Meditaion heißt das auf Deutsch. Alles Spekulationskiesewetterdiesealterübensau. Aber: Wir machens gerne, es macht Spaß, verstehst du? Man muß sich dazu bekennen, irgendwie, weil: die Industrie hat uns so gemacht, und da gibt es auch kein Vishnu mehr und kein Shivadas und kein Zappa oder auch kein Böll oder auch kein Leary - da gibts nur dich, DU BIST ES. Ja, der das machen muß, der das auflösen muß. Die Gerichtspsychiatrie, Weltverschwörung - ich glaube mit solchen Leuten sollte ich gar nicht mehr zusammenkommen, die sowas denken. Es gibt keine Geheimnisse mehr! Mit solchen Leuten sollte ich zusammenkommen! Die, die wissen: "Hallo! Es gibt keine Geheimnisse mehr!" - "Wo sind wir?" - "Alle beim CIA. Aber: ehrenamtlich!"

Erstmal habe ich was gegen Schreiben. Da spiel ich lieber mit der Sprache. Wie gesagt, es geht ja um die Sprache. Die Sprache ist ja verloren worden. Und da sagt der LSD Mensch: Ich hab das LSD eingentlich erfunden, damit jeder auch die Kunst ... also Beuys hat die Botschaft, aber er bringt sie schlecht, ja. Jeder Mensch ist ein Künstler. Mach dir nix draus, daß du ein besonderer Gitarrist bist, jeder ist ein Gitarrist - aber Gitarrist ist heute wie Autoschlosser, das sag ich dir gleich. Vor dreißig Jahren sind sie alle Autoschlosser geworden, heute alle Gitarristen. Klar!? Damit du sie siehst, diese Spirale, die große Spirale. Die Nostalgiespirale. Und die Disco-Musik ist die humpta humpta Musik aus dem Dritten Reich.

Paß mal auf, die Prominenzen sind die Wichtigsten, dann als nächste Antörner. Da muß man aber auch aufpassen mit dem Alkohol, aber die sind die Wichtigsten. Warum? Die sind ja extra dafür prominent. Dafür sind sie ja prominent, damit man sich an sie ranhängt. Sie wollten ja extra prominent werden, daß sie führen ne Weile. Mir ist doch lieber statt nem großen Führer viele kleine Führer. Und die lassen sich freiwillig lenken, die Prominenten. Ich hab doch meinen Namen von Euch, sag ick. Das ist doch die Prominenz, das war doch beim SDS schon so ... "Ich bin der Heinrich Böll, ich bin die Prominenz und schart euch mal um mich rum, ich mache das alles für euch und sagt mir genau Bescheid was ich sagen soll!" Hast du ein anderes Verständnis von der Prominenz? Musik machen se doch alle, was willste da denn noch prominent werden? Die sind die Buchhalter geworden, die Musiker.

Politik ist für mich Porno. Politik ist doch doch, wir reden nicht über unsere Schwänze und deren Gebrauch, sondern wir sprechen über Strauß, Helmut Schmidt, äh, und soweit war der SDS auch schon, ja, vor 10 Jahren.

Ich bin nach Haus gegangen und hab mir überlegt, warum ich in die Psychiatrische Anstalt soll. Da hab ich dem Dr. Kleiner nen Brief geschrieben, kommen Sie bitte, - ich bin ein Ausnahmefall, ich bin echt ein Ausnahmefall; das hat aber nichts mit Prominenz zu tun - ... was meinst du? Den Protest? Es geht um den Protest, auch bei der Gerichtspsychiatrie. Denn den Protest gibts nicht mehr. Ich hab also folgendes gemacht: ich bin nach Hause gegangen und hab mir überlegt "Der spricht von Ethik, der sagt, hören Sie mal Herr Neuss, Sie sind doch auch nur ein Mensch wie jeder andere". Da hab ich gesagt "Nein, das bin ich nicht." Weil mein ganzes Streben war immer, nicht ein Mensch wie jeder andere zu sein - und keen Mörder zu werden, also, da hab ich drauf geachtet natürlich. Aber das war mein Streben, du verstehst - und dabei doch wie jeder andere zu werden, also Wahnsinn eigentlich. Also wirklich Wahnwitz. Dadurch kam Kabarett zustande. Also. Da hab ich ihm gestern einen Brief geschrieben ... "Sie sind gestern wie ne Diva aus dem Gerichtssaal hinausgerauscht, das hat mich sehr gestört, denn ich hätte mich gerne noch mit Ihnen unterhalten, da hätten Sie nämlich dann in den Gerichtssaal rufen müssen, erstmal: "Dieser Mann ist gesund!" erstmal, bevor Sie mich untersuchen. Und noch so einige Sachen, dann hab ich ihm geschrieben "Da ich nicht klagen will" - man klagt sonst wenn man so beleidigt wird - stand ja nächsten Tag in der BildZeitung & ich hatte die BildZeitung ja eigentlich zu meinem Schutz dabei "NEUSS IN DIE NERVEN- KLINIK?" Nur seitdem ich Haschisch rauche überlegen die Leute sich sowas, obwohl ich die schizophrenen Briefe, wo ich nun wirklich in der Öffentlichkeit eine Meise hatte - die gibt es die Meise, wollt ich dir sagen - da hab ich Preludin genommen & merke, ich kann nicht mehr arbeiten. Ich komm immer mehr weg vom arbeiten, ich kann nicht mehr das schreiben, was mir einfällt. Mir fiel immer mehr ein, und ich konnte nicht mehr nachkommen. So ging es der Gesellschaft mit der Sprache, ja. Die konnten nicht mehr nachkommen. Was den Haschischrauchern da alles einfiel beim SDS. Da hab ich also Dr.
Kleiner geschrieben "Untersuchen Sie mich öffentlich". Ich hab mir überlegt, das alles müßte öffentlich erzählt werden. Ich benutze meine Prominenz. Der sagt mir "Das ist nicht vorgesehen. Ich kann Sie doch öffentlich nicht untersuchen. Die Intimheit der Sache!" Ich sag, "Wir wolln ja die Schwänze nicht zeigen ..." Er hat sich geweigert. Also ich hab ihm geschrieben "Es ist doch auch für Sie eine Chance, Dr. Kleiner." Ich hab ihm vorgeschlagen, damit sie mich nicht für größenwahnsinnig halten, wir machens im TV, in der Akademie der Künste, im Grips Theater oder in der Kanzlei von Dr. Schilly, weil das mein Anwalt ist. Daraufhin kam er hierher und sagte "Kooperieren Sie doch mit mir." Also, ich habe ihn zu mir eingeladen damit er mal sieht, wo ich sieben Jahre ... tata ... da sagt er, das stört mich aber ein bißchen. Da sag ich: mich nicht. Sagt er, ach soo machen die jetzt das LSD, sagt er, ja. Aha. Total angetörnt der Typ, ein lieber Mensch. Eigentlich. Aber: gefährlich! Warum? Zu lieb!

Bist du manchmal irgendwo, vielleicht außerhalb der Stadt, wo es ganz anders ist als bei dir zuhause?

Darauf bin ich ja noch nicht gekommen, das will ich aber noch nicht üben. Das mach ich erst, wenn ich mein drittes Auge hab, det hab ich ja noch nicht. Ich habs zwar schon, aber noch nicht an der richtigen Stelle. Wenn, dann probiere ich es mit LSD in Indien zu sitzen und doch hier zu sein und wenn mir das gelingt, dann brauch ich nicht mehr den Tourismus, denn das ist ja die größte Scheiße, die wir eingeführt haben. Nja, ne Lehre vom Haschisch: Passe dich an an das Schlimme - und es wird besser.

Weißt du was hier nicht stattgefunden hat, hier in der Wohnung?! Das weiß man auch: Geistesleben hat nicht stattgefunden. Ich bin total versaut. Sag ich dir ehrlich. Na, des hier, sone Unterhaltung. Die hab ich ja ungefähr in sieben Jahren nicht gehabt, eine sone Unterhaltung. Und du mußt doch sagen, wir sind alle nicht auf einem besonders hohen Niveau. Verstehste, hab ich einfach vermißt. Weil, das erfrischt.

Also, paß mal auf. Wenn man liest, macht man es folgendermaßen. Der, der das geschrieben hat, was hat der gemacht? Was hat der gemacht, um das zu schreiben? Bevor ich es lese! Der hat die Vorhänge zugemacht, die Tür, Haschisch hatte er nicht, darum gehts rauszukriegen wie der es gemacht hat. Wie er getörnt hat. Dann lese ich erst den Lebenslauf, von Ernst Jünger hab ich ihn nu noch nicht gelesen, aber höre allenthalben, war genau wie Heidegger, so faschismusverdächtigt. Ja, aber ich weiß ja, die Faschismusverdächtigen sind ja die Saubren Onkels. Weißt du warum Hitler in den Teppich gebissen hat? Er wollte Afgani haben!

Frage von H.D. Heilmann: "Es gibt doch auch ein anderes angetörnt sein. Würdest du dich also in der Zeit wo du Kabarett gemacht hast nicht auch als angetörnt bezeichnen?" - "Sowieso. Du hör mal, Kabarett ist total angetörnt, aber die Kabarettisten denken "Gib mir kein Haschisch! Ich bin total angetörnt! Gebt mir kein Haschisch! Ich, ich bin total angetörnt!" - Weißt du, wodurch das kommt? Kabarett ist garnicht. Seit 1900 gibts das nicht mehr. Aber det war ne vornehme Angelegenheit, wo man sachte: Ne Zwischenkunst. Kabarett ist doch was ganz anderes. Da sagt sich einer, wie kann man unnormal sein und nicht kriminell. Kabarett. Das kann man. Unnormal, d.h. immer anders, prinzipiell! Alle tragen Gürtel - Icke nich. Alle tragen - icke nich. Das ist Kabarett. Und das törnt. Dadurch törnt er. Wie kann mich Dr. Kleiner nun untersuchen, wo ich immer anstrebe, unnormal zu sein? Und das selbst vor Gericht! Weil, ich warte ja auf die Haschischerlaubnis um wieder auf die Bühne zu springen und zu zeigen wie man raucht. Warum soll ich denn heute auf die Bühne, wo meine Botschaft ohne Protest ist und ich mich zum Protest zwingen lassen muß, weil Haschisch nicht legalisiert ist.
Damit du weißt, und ein für allemal lernst wofür die Gesetze waren: zur Verbreitung von Heroin! Shit! und LSD! Und es ist genug verbreitet. Die Gesetze sind nur zur Verbreitung von einer Sache heutzutage. Hast du verstanden? Endlich! Seht doch mal die Dialektik der Sache, daß wir dabei sind, und die Händler stehen hinter uns (aber nicht mit gezogenen Pistolen!) und sagen "Ihr macht uns ja das Geschäft kaputt. Mit den Verboten machen wir die Welt an, das ist tibetanisch, das is nicht mehr möglich in der Industriegesellschaft. All die Tausende im Knast, wegen Haschisch. Was macht denn der Staat hier? Ich weiß was er macht! ... Wir kriegen Wiedergutmachung! ... soviel Geld hat er garnicht ...

Und nochwas Die Sache mit den Freunden.
Wieviel Leute spielen heute noch mit dir mit, mit denen du schon vor 20 Jahren gespielt hast?
Lange Pause. Stille.
Gibt es Leute, die deine Erfahrungen mitgemacht haben?

Vor zwanzig Jahren? Das weiß ich ja garnicht mehr. Mann da hab ich ja die Hauptsache gemacht. Vor dreißig Jahren mußte mal fragen.

Ein Austausch fand viele Jahre nicht statt, oder kaum. Vielleicht war dieses Encounter ein Beginn. Ihm gefiel es sichtlich.

Ihr habt mich high gemacht, weil ich sprechen durfte. Ich werde high mit Sprache.

Soweit Wolfgang Neuss. Am Stück.
Das Einzige, was mich ein bißl traurig gestimmt hat bei meinem Besuch war, daß ich ihm gewünscht hätte 10 Jahre eher mit dem Kiffen anzufangen und erst in 5 Jahren seine Berliner Schnauze auf diesem Gebiet so weit aufzureißen. Als ich ihn 2 Wochen vor seinem 2. Gerichtstermin nach einer Urteilsprognose fragte, meinte er:

"100 DM Geldstrafe. Das dritte Auge kommt an seinen Platz, also ich erleuchte mich mal kurz, fahre hin, sehe aus wie 19, spreche wie 19, bin neu und bin ein Beweis.
Bevor ich dahin gehe, wenn ich überhaupt an die denke, dann weiß ich: Ich bin es selbst."

Das offizielle Ergebnis allerdings:

Acht Monate Haft mit Bewährung und die Auflage sich nervenärztlich untersuchen zu lassen - das ist das Urteil im Prozeß gegen Wolfgang Neuss. Er war des Besitzes von Rauschgift angeklagt. "Ein skandalöser Vorfall" in Neuss' Wohnung führte zur Durchsuchung wobei 35,8 Gramm Haschisch gefunden wurden.

In der bürgerlichen Presse wird der Prozeß als "Theater" (ein Komödiant steht seinen Mann), dargestellt. Hauptsächlich ging es Wolfgang Neuss in diesem Prozeß um die Verdeutlichung des Unsinns, Haschisch zu verbieten, und andere Drogen, die legal sind (wie Alkohol).

Neuss als verrückt zu verdächtigen, und eine psychiatrische Untersuchung zu veranlassen, waren die Reaktionen vonseiten des Gerichts. Die Staatsanwaltschaft überlegte laut, Neuss zwangsweise psychiatrisieren zu lassen.

In Prozessen, in denen gewöhnliche, d.h. unbekannte "Shit-Genießer" angeklagt sind, wird die Forderung nach Psychiatrisierung so gut wie nie gestellt. Es ist ein ganz gewöhnlicher "Kriminalfall". Schließlich gibt es Gesetze - die regeln alles. Neuss, ein Bekannter aus der Studentenbewegung (Ostermarsch-Bewegung, Gegner des Vietnamkrieges etc.) und als Kabarettist über die Linke in der Bundesrepublik hinaus bekannt, widerfährt anderes; in der Logik des Gerichts kann Neuss nur "verrückt" sein, wenn er auf etwas besteht, was in der Öffentlichkeit als etwas sehr Gefährliches dargestellt wird.

Mir tönen noch die Massenmedien in den Ohren, die Shit als Einstiegsdroge darstellen. Schreckensbilder werden gemalt, die Neuss im Prozeß ins Absurde zieht und dabei doch den Realismus aufzeigt: "Diese Ärztekammern, die Leute in die Irrenanstalt stecken, statt sie vor der Haustür rauchen zu lassen" ...

Auf die Forderung des Gerichts, sich psychiatrisieren zu lassen, geht Neuss nicht ein. Er lehnt es ab sich nach "Bonnys Ranch" (Karl Bonhoeffer-Klinik - Psychiatrie) zu begeben und sich dort den geistigen TÜV zu holen. Im Gegenzug fordert er seine öffentliche Untersuchung. Er schlägt als Gutachterort die Kanzlei Schily u.a. vor.

An dieser Stelle wird es gleichzeitig auch wieder kompliziert, denn Neuss läßt sich auf etwas ein, von dem er ziemlich genau weiß, wie sich gerade die Psychiatrie mit und über den Begriff Krankheit definiert. Anstatt sich in den Widerspruch dieser Begrifflichkeit zu stellen, d.h. die Unsinnigkeit einer solchen Untersuchung darzustellen, akzeptiert er seine Psychiatrisierung und fordert lediglich die Öffentlichkeit, die seiner Psychiatrisierung zusieht - als Spektakulum?

W.G.

Da ich nur mit 'nem Tonbandgerät und ohne Kamera unterwegs war, schickte ich umgehend Richard los. Richard war früher in Vatters Druckwerkstatt und schafft nun bei der TAZ. Die Fotos kamen umgehend, mit folgendem Brief:

Tag pieper,
jetzt ist's also soweit und rechtzeitig die fotos von wolfgang neuss liegen vor dir. ... und du hast recht gehabt als du geschrieben hast vielleicht wirds ein abenteuer. es ist eines geworden und ist immer noch eines. mittlerweile war ich dreimal bei ihm ... immer geraucht und erzählen ... ist er nicht ein don juan??, ein alter zauberer, oder wie er selbst sagt: ein artist. ein zeitloser alter ... ich war ganz weg, die fotos haben ihm auch gefallen (besser als der stern -zitatende-) seltsamerweise hab ich seit fast 10 tagen kein bier mehr getrunken (wenn du jetzt bier trinkst ist das wie wenn du gegen den wind pißt) ob das damit zusammenhängt, irgendwie?? soweit also die wirkung vom besuch bei neuss.

Und dann brachte plötzlich die TAZ was zum Thema Neuss. Sogar Neuss selber geht wieder in die Offensive, er schreibt einen Leserbrief an die WELT:

Wolfgang Neuss an Rudolf Augstein
Wie die "Welt am Sonntag" vom 2.9. zu berichten wiß, hat Wolfgang Neuss, 55, gegen den unlängst wegen 38,5 Gramm „Hatschisch" verhandelt wurde, ehemaliger Kabarettist aus Berlin, einen Brief an den mittlerweile in die Runde aufgenommenen Spiegel-Herausgeber Rudolf Augstein geschickt. Dieser, ebenfalls 55, war vor zehn Tagen auf Sardinien wegen 40 Gramm „Haschisch" vorübergehen in Haft genommen worden.

"Ich habe Rudolf gebeten, seinen Einfluß geltend zu machen, damit Haschisch-Rauchen endlich legalisiert wird. Wörtlich schrieb ich ihm: Wenn Du wieder mal nach Berlin kommst, dann komm doch mal bei mir vorbei, dann können wir gemeinsam eine rauchen. Bei mir hast Du wenigstens deine Ruhe."
Join (t) it together!

"Herr Neuss, wie konnte es
nur soweit mit Ihnen kommen?"
Die Indianerfrau besieht sich
die schwarzen Fingernägel, die
roten Augen zucken. Der Versuch
eines krampfkalten Lächelns.

Shit

Die achziger beginnen & er hockt in den Startlöchern zur nächsten Runde.

Große Zukunft Ich bin am Kommen! Ich muß mich nur erstmal abschaffen!

Verstehste?


"Wie soll ich mich denn dagegen wehren, wenn das Hasch mit der Post kommt?" Neuss, Deutschland

Aus dem Treffen von Wolfgang Neuss, Werner Pieper und Dr. LSD (10x) entstand auch NEUSS ZEITALTER - DER FRÜHSTÜCKSDIKTATOR, von dem es auch noch einige wenige Exemplare zu bestellen gibt. Zugreifen!

Quelle: HUMUS Nr. 3 - zur Verfügung gestellt von Der Grünen Kraft